Re: "Zahlenspiele vom grünen Tisch"

Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger

Achim Teusch, aktiv im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, hat am 18. Juli 2019 einen kritischen Beitrag zu den Verlautbarungen der Bertelsmann-Stiftung an den Kölner Stadt-Anzeiger geschickt, in dem er den Behauptungen zur Behandlungsqualität in kleinen Krankenhäusern widerspricht.


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bitte Sie, den folgenden Leserbrief zu Ihrem Artikel "Zahlenspiele vom grünen Tisch" vom 17. Juli 2019 abzudrucken:

Herr Böcker von der Bertelsmann-Stiftung erklärte Ihnen, dass "allein in Köln zwei Drittel der Patienten mit Herzinfarkt in eine dafür nicht geeignete Klinik eingeliefert werden. Ich als Patient hätte schon gern die Gewissheit, dass ich richtig behandelt werde und überlebe." Nur 12 von 36 Kliniken hätten ein Herzkatheterlabor. Letzteres stimmt. Aber diese 12 behandeln nicht etwa nur ein Drittel der Herzinfarktpatientinnen und -patienten, sondern vier Fünftel, mehr als 80% (leicht nachzurechnen anhand der Daten auf Seite 65 der Studie). So ist es auch bundesweit. Einer Präsentation desselben IGES-Instituts, das die Bertelsmann-Studie durchführte, aus dem Jahr 2015 ("IGES Forum ACS") ist zu entnehmen, dass 81 % der Infarktpatientinnen und -patienten in der Bundesrepublik primär einer Herzkatheterintervention, ggf. mit Ballonerweiterung der verschlossenen Herzkranzgefäße und Stentimplantation, zugeführt werden. Die Bundesrepublik steht damit unter 21 verglichenen europäischen Staaten nach Tschechien und der Slowakei gleichauf mit der Schweiz auf Platz 3, weit vor Frankreich,Großbritannien, Italien und Österreich. Kein Grund zur Sorge also für die Bertelsmann-Wissenschaftler. In andere Krankenhäuser als die 12 "geeigneten" werden Patientinnen und Patienten nur in Ausnahmefällen eingewiesen (z.B. wenn eine falsche Diagnose gestellt wird, das Infarktereignis schon längere Zeit zurückliegt oder Patienten dies ausdrücklich wünschen).

Herr Böcker betrachtet es auch als "intellektuelle Zumutung", dass von den Kritikern der Studie "der Zusamenhang zwischen Fallzahlen und Qualität als konstruiert abgetan werde." Da hat er recht. Eine ebenso große "intellektuelle Zumutung" ist es aber, dass seine Studie "kleine Krankenhäuser" gleichsetzt mit niedrigen Fallzahlen, wenig Erfahrung und hoher Sterblichkeit. Das Bockshorn lässt grüßen. Wer die Region besser kennt als die Autoren der Studie, weiß, dass es in Köln und Umgebung kaum ein "kleines" oder mittelgroßes Krankenhaus gibt, dass nicht eine oder mehrere "große" Abteilungen mit guter Ausstattung, hohen Fallzahlen, viel Erfahrung und guter Qualität hätte. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen formulierte es nach Analyse der Qualitätsdaten des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen ("Qualitätssicherung mit Routinedaten") in seinem Gutachten 2018 so: "Auch zwischen der Krankenhausgröße und der Qualität der Leistungserbringung ist kein systematischer Zusammenhang festzustellen."

Die Bertelsmann-Autoren orientieren sich an Dänemark. Dort wurde eine "Reform von oben" durchgezogen. Kleine Krankenhäuser wurden durch große ersetzt. Das war in Dänemark möglich, weil alle Krankenhäuser staatlich sind. Dass eine Kopie der dänischen Reform in der Bundesrepublik nicht gelingen kann, muss niemanden betrüben. In Ihrer Zeitung rechnet "Experte Boris Augurzky" die Kosten vor: "Dänemark veranschlagt für den Umbau seiner Krankenhauslandschaft sechs Milliarden Euro. Bezogen auf die deutsche Bevölkerungszahl wären dies 80 Milliarden Euro." Heraus käme ein Konjunkturprogramm für die Bauindustrie und die medizinische Geräteindustrie mit ungewissen Folgen für Qualität und Sterblichkeit. Mit 80 Milliarden Euro ließen sich 30 000 zusätzliche Arztstellen oder 50 000 zusätzliche Pflegestellen über 25 Jahre finanzieren. Das würde die Qualität vielleicht auch verbessern.

Ich wünsche keine "Reform von oben", sondern eine "Reform von unten", unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, der Krankenhausträger, der Beschäftigten und ihrer Organisationen und Vertretungen, der ambulanten Dienste und Praxen und ihrer Beschäftigten und von Patientenorganisationen. Ein Beispiel aus dem Rhein-Sieg-Kreis: In Siegburg, Troisdorf und St. Augustin gibt es 4 mittelgroße Krankenhäuser im Umkreis von wenigen Kilometern mit unterschiedlichen Leistungsschwerpunkten und unterschiedlichen Trägern. Man könnte ihre Kooperation fördern. Man könnte ihre Leistungsangebote stärker aufeinander abstimmen. Man könnte sie sogar, wie in Dänemark, abreißen und durch eine neue Großklinik ersetzen. Man könnte auch noch anderes. Darüber sollten aber die Menschen der Region entscheiden, nicht nicht die Gesundheitsbürokratie, Bertelsmann oder ein privatwirtschaftliches Beratungsinstitut aus Berlin.

Mit freundlichen Grüßen

Achim Teusch